Kunstgeographie
Einer der wichtigsten Vertreter des Faches Kunstgeographie, Reiner
HAUSSHERR zitiert den Kunstkritiker Heinrich WÖLFFLIN mit dem Ausspruch
Salomonis´ "Nicht alles ist zu allen Zeiten möglich" und fügt hinzu
"Nicht alles ist an allen Orten möglich". Hier wird die Grundlage
für kunstgeographisches Arbeiten deutlich. In der Praxis durchdringen
sich zwei Betrachtungs- und Arbeitsweisen, als deren Synthese die
Kunstgeographie gelten kann:
* Die Kunsttopographie verzeichnet systematisch die Kunstwerke, die
an einem Ort oder in einer Gegend vorhanden sind.
* Die Kunstpsychologie, die wie die Kunstgeschichte deduktiv vorgeht,
untersucht das Besondere, den Einzelfall, der aus dem Allgemeinen
abgeleitet wird. Das bedeutet konkret, daß Eigenheiten in der formenden
Kraft des Menschen untersucht werden, die dazu beitragen, stilistische
Einflüsse von außen innerhalb einer Region zu einem eigenen Raumstil
umzuprägen.
* Die Kunstgeographie geht induktiv vor. Sie geht vom Einzelkunstwerk
aus und schließt daraus auf das Allgemeine. Die örtliche Ausbreitung
von Stilformen und -typen, Baumaterialien und die landschaftliche
Differenzierung und regionale Ausprägung von Zeitstilen wird untersucht.
Von der Methode her kann sie als archäologisch-rationalistische Materialforschung
bezeichnet werden.
Aufgrund der Weitläufigkeit des Themas und dessen interdisziplinärem
Charakter wird eine Definition notwendig, die a priori keine Einschränkung
der möglichen Beziehungen zwischen Mensch, Natur und Kunst beinhaltet.
So untersucht GAMBONI unter dem Titel `Kunstgeographie´ für die Schweiz
die Beziehungen zwischen dem Kunstgut und der künstlerischen Tätigkeit
einerseits und einem geographischen Raum andererseits. Diese Definition
umfaßt sowohl die Architektur als (fast) unveränderlich an den Ort
gebundene Kunst als auch Bildwerke und Skulpturen.
In meiner Arbeit beschränke ich mich auf die Architektur, da das
Bauwerk und die Siedlung unmittelbar kulturlandschaftlich faßbar sind,
das Erscheinungsbild einer Region prägen und daher von unmittelbar
geographischem und touristischem Interesse sind. Meiner landeskundlichen
Darstellung der regionalen Baustile der Renaissance in Deutschland
liegt ein synthetisch-kulturgeographischer Ansatz zugrunde, der die
kunstgeographisch relevanten Strukturen des Bearbeitungsgebietes darstellt.
Die Definition der Kunstgeographie von GAMBONI schränke ich unter
kulturgeographischen Gesichtspunkten ein auf die Beziehungen, die
zwischen Bauwerk, Künstler und geographischem Raum bestehen: Kunstgeographie
versucht, die Beziehungen zwischen der (Bau-) Kunst und den naturräumlichen,
historischen, wirtschaftlichen und sozialen Gegebenheiten ihres Entstehungsraumes
aufzuzeigen und kartographisch darzustellen.
Angeregt wurde meine Arbeit durch eine Definition von Prof. Ralph
JÄTZOLD, in der er die Kulturgeographie im engeren Sinne als Geographie
der landschaftlich relevanten Kultur, also vorwiegend der gebauten,
versteht. Sie prägt das Bild einer Kulturlandschaft, die sich je nach
den natürlichen Gegebenheiten, der historischen Entwicklung, den wirtschaftlichen
Möglichkeiten und letztlich auch den charakteristischen Eigenarten
und Vorlieben der Bevölkerung unterschiedlich darstellt. Bei dem Reisenden
entsteht häufig ein Eindruck der Andersartigkeit. Dieses "Andere"
- sowohl regional als auch zeitlich - zu deuten, kann als Grundlage
kunstgeographischer Arbeit gesehen werden, die die Kulturgeographie
sinnvoll ergänzt.
Dr. Birgit Bornemeier